Montag, 11. März 2019

Haftungsausschluss nach § 676 c Nr. 1 BGB im Online-Banking

Prozessuale „Vortrags“-Pflicht zur Beiziehung von Akten

Prof. Dr. Hervé Edelmann, Rechtsanwalt, Bank- und Kapitalmarktrecht, Thümmel, Schütze & Partner

In einer Entscheidung, in welcher es um die Erstattung zweier vom Bankkunden nicht autorisierter Überweisungen von seinem Konto ging, weist das Oberlandesgericht Schleswig in seinem Beschluss vom 29.10.2018, Az. 5 U 290/18 (WM 2019 S. 206), in prozessualer Hinsicht zunächst darauf hin, dass die Parteien eines Zivilprozesses den Inhalt von Strafakten nicht allein durch deren Bezeichnung zum Gegenstand des Rechtstreits machen können. Vielmehr sei es Sache der Parteien, im Einzelnen dazulegen, was sie zum Gegenstand ihres Vortrages machen wollen. Insofern sei es nicht Aufgabe des Gerichts, Akten anderer Behörden daraufhin zu überprüfen, ob sie Tatsachen enthalten, die einer beweisbelasteten Partei günstig sind, weswegen ein schlichter Antrag auf Beiziehung von Strafakten nach § 432 ZPO nicht den gesetzlichen Erfordernissen genügt, wenn die Parteien nicht näher bezeichnen, welche Urkunden oder Aktenteile sie für erheblich halten. In diesem Zusammenhang verweist das Gericht noch darauf, dass eine Verpflichtung zur Beiziehung der Akten gem. § 432 Abs. 2 ZPO im Übrigen dann nicht besteht, wenn – wie im vorliegenden konkreten Fall auch – dem beklagten Kreditinstitut als Verletzte des Computerbetruges durch nichtautorisierte Zahlungsvorgänge ein eigenes Akteneinsichtsrecht gem. § 406e StPO zusteht, von welchem das Kreditinstitut aus nicht nachvollziehbaren Gründen im Vorfeld der gerichtlichen Auseinandersetzung und/oder im Gerichtsverfahren keinen Gebrauch gemacht hat.

SEMINARTIPP

Praxisprobleme Kontoführung & Zahlungsverkehr, 26.06.2019, Köln.



Sodann stellt das Gericht fest, dass bei vom Berechtigten nicht autorisierten Verfügungen durch Dritte ein ungewöhnliches und unvorhersehbares Ereignis i. S. v. § 676c Nr. 1 BGB nicht ohne Weiteres vorliegt. Vielmehr müsse das darlegungs- und beweisbelastete Kreditinstitut konkret darlegen und unter Beweis stellen, dass und aus welchen Gründen ein ungewöhnliches Ereignis vorliegt und dass es sich bei den nicht autorisierten Zahlungsvorgängen um ein außerhalb ihres Einflussbereichs liegendes und auch bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht vermeidbares unvorhersehbares Ereignis gehandelt hat. Dabei hebt das Oberlandesgericht Schleswig hervor, dass allein die Vorlage der Transaktionsprotokolle, aus welchen sich ergibt, dass nach dem für die beiden streitgegenständlichen Transaktionen die mit dem Kläger vereinbarten personalisierten Sicherheitsmerkmale und Authentifizierungsinstrumente eingesetzt wurden, als Beleg für das Vorliegen eines ungewöhnlichen und unvorhersehbaren Ereignisses nicht ausreicht. Auch die Tatsache, dass eine Schadensursache im Verantwortungsbereich der Bank nicht feststeht, vermag für sich allein ein solches Ereignis i. S. v. § 676c Nr. 1 BGB nicht zu rechtfertigen.

Schließlich erinnert das Oberlandesgericht Schleswig unter Verweis auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 26.01.2016 (vgl. hierzu BTS Bankrecht 2016 S. 50 ff.) daran, dass es im Zusammenhang mit der Prüfung der als dolo-agit-Einrede geltend gemachten Schadensersatzansprüche gem. § 675v BGB keinen Erfahrungssatz gibt, wonach bei einem Missbrauch des Online-Bankings bereits die konkrete Aufzeichnung der Nutzung eines Authentifizierungsinstruments und die beanstandungsfreie Prüfung der Authentifizierung für eine grob fahrlässige Pflichtverletzung des Zahlungsdienstenutzers sprechen, sodass sich der Zahlungsdienstleister für den ihm im Rahmen von § 675v Abs. 2 BGB obliegende Nachweis auch nicht auf den Beweis des ersten Anscheins hinsichtlich des Verschuldens stützen kann. In diesem Zusammenhang verweist das Oberlandesgericht ferner darauf, dass es im Falle eines Missbrauchs des Online-Banking auch keinen Erfahrungssatz gibt, welcher auf ein bestimmtes typisches Fehlverhalten des Zahlungsdienstenutzers hinweist. Die Vielzahl von Authentifizierungsverfahren im Online-Banking, die sich zum Teil erheblich im Sicherungskonzept und in dessen Ausgestaltung unterscheiden, können vielmehr jeweils auf unterschiedliche Weise angegriffen werden, wozu wiederum verschiedene Pflichtverletzungen des Zahlungsdienstenutzers beitragen können, sodass – anders als bei der Nutzung von Zahlungskarten an Geldautomaten – ein Missbrauch des Online-Banking nicht auf ein bestimmtes Verhalten des Zahlungsdienstenutzers hinweist, das sodann als grob fahrlässig eingeordnet werden könnte. Demgemäß könnten die Regeln des Anscheinsbeweises auch nicht zum Nachweis der objektiven Voraussetzungen grober Fahrlässigkeit des Zahlungsdienstenutzers im Online-Banking herangezogen werden.



PRAXISTIPP

Das Oberlandesgericht Schleswig hat klargestellt, dass im Falle nichtautorisierter Zahlungsvorgänge besondere Umstände hinzutreten müssen, welche es rechtfertigen, von einem ungewöhnlichen und unvorhersehbaren Ereignis i. S. v. § 676c Nr. 1 BGB zu sprechen. In der Regel dürfte es sich bei solchen Ereignissen entsprechend der Regelungen in Nr. 3 Abs. 3 AGB Banken bzw. Nr. 19 Abs. 3 AGB Sparkassen (nur) um Fälle von Aufruhr, Kriegs- und unabwendbaren Naturereignissen handeln (so auch Zetzsche, in MünchKom., 7. Aufl. 2017, § 676c, Rn. 6), wobei selbst in jedem einzelnen dieser Fälle konkret geprüft werden muss, ob diese tatsächlich unter die Vorschrift des § 676c Nr. 1 BGB fallen. Jedenfalls dürften Umstände – wie z. B. die „gute“ Fälschung einer Unterschrift –, die dem Risikobereich des Zahlungsdienstleisters entstammen, nicht als ungewöhnliches und unvorhersehbares Ereignis i. S. v. § 676c Nr. 1 BGB gelten; dies jedenfalls dann nicht, wenn der Zahlungsdienstleister nicht alles ihm im Massenverkehr des Überweisungsgeschäfts Mögliche und Zumutbare unternommen hat, um die nichtautorisierte Abverfügung über das Konto seines Kunden zu vermeiden (so im Ergebnis auch OLG Frankfurt, Urt. v. 11.05.2017, Az. 1 U 224/15, NJW-RR 2017 S. 1.329, 1.330).

Im Übrigen hat das Oberlandesgericht Schleswig völlig zu Recht unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 26.01.2016 darauf hingewiesen, dass es im Online-Banking – anders als bei Verwendung von Zahlkarten an Bankautomaten – keine die Grundsätze des Anscheinsbeweis stützenden Erfahrungssätze gibt, wonach bei Aufzeichnung der fehlerfreien Nutzung eines Authentifizierungsinstruments ein Missbrauch des Online-Banking durch eine subjektiv unentschuldbare Verletzung von Sorgfaltspflichten im besonders schweren Maße durch den Zahlungsdienstenutzer vorliegt oder dass in einem solchen Fall ein tatsächliches Verhalten des Zahlungsdienstenutzers vorliegt, das als grob fahrlässig bewertet werden könnte. Vor diesem Hintergrund muss jedes betroffene Kreditinstitut im Prozess substantiiert unter Auflistung konkreter Umstände und Tatsachen sowie Indizien darlegen und auch beweisen, dass im betroffenen konkreten Fall (ausnahmsweise) ein die Bejahung des Anscheinsbeweises rechtfertigender typischer Sachverhalt vorliegt oder aber ein sonstiges schuldhaftes Verhalten des Zahlungsdienstenutzers i. S. v. § 675v Abs. 3 Nr. 2 BGB.



Beitragsnummer: 1251

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